Der Schicksalsschwerste Tag

4.Juli 1796, Bei den vielen Auseinandersetzungen zwischen den französischen und österreichischen Truppen in den Revolutionsjahren 1792-97 verloren während der Gefechte im „Hochwald Kalteiche“ mehrere tausend Menschen ihr Leben

Schwere, harte Zeiten hat es leider in den vergangenen Jahrhunderten in fast ununterbrochener Folge gegeben und es fällt uns heute aus dem Wohlstand des 20.Jahrhunderts heraus sehr schwer, die Bedrängnisse unserer Altvorderen nachzuvollziehen bzw. überhaupt zu erkennen und zu verstehen.

Besonders gefürchtet waren die oft wochenlangen „Einquartierungen“ im Verlauf dieser Truppenverschiebungen. Sie waren verbunden mit vielerlei Kriegsabgaben, mit Hand- und Spanndienst, Fronleistungen, Lebensmittelabgaben, mit Raub, Mord und Schändungen. Diese Truppendurchzüge fanden im 17. und 18.Jahrhundert, und auch noch im 19.Jahrhundert (Napoleon!) fortwährend statt.
Mit dem Gefecht um den „Hochwald Kalteiche“ im Sommer 1796, also vor mehr als zweihundert Jahren, wollen wir versuchen, eine Schilderung dieser Zeit und ihrer Nöte zu geben.

Die historischen Hintergründe

Während der Revolution war in Frankreich die Regierung entmachtet und eine neue „Volksregierung“ geschaffen worden. Preußen, damals Untertan Österreichs, hatte aus Furcht eines Übergriffes der Revolution auf deutsches Gebiet ein Söldnerheer aufgestellt und Frankreich damit bedroht. Die Franzosen wehrten sich auf ihre Weise und drangen zum Teil recht weit über den Rhein hinaus auf deutschen Boden vor. Hierbei kam es immer wieder zu kriegerischen Handlungen u. letztlich zu größeren Gefechten auf den Höhen des Westerwaldes bis hin zur Dill und Heller.

Jordan gegen Kray

Im Winter 1795/96 standen der französischen Armee unter den Generalen JORDAN, KLEBER, COLLAUD und LE FEBRE, auf Österreichisch – deutscher Seite die Truppen unter Erzherzog KARL gegenüber. In unserem Gebiet lagen Verbände der Österreicher unter Führung von FERDINAND VON WÜRTTEMBERG (als Sieg-Lahn Corps)im Winterquartier. Von diesen Truppen waren etwa 38 Bataillone unter Feldzeugmeister WARTENSLEBEN auf dem Hohen Westerwald, an der Sieg und Heller sowie an der Dill stationiert. Alleine um Neukirch sollen zwölftausend Infanteristen, viertausend Reiter und starke Artillerie gelegen haben.

Die KALTEICHE wird verschanzt

Starke Verbände lagen auch in den Orten rund um den Berg Kalteiche: in Wilnsdorf, Wilgersdorf, Dillbrecht, Fellerdilln , Steinbach, Rodenbach, Haigerseelbach, Haiger, Allendorf, im Hickengrund und im Freiengrund. Hier an den Quellen der HELLER (die als „Schwarzenbach“ entspringt), der DILL und dem Wildebach,waren die Höhen des SINNERHÖFCHEN des DONNERHAIN des HIRSCHSTEIN und dem WILDENSTEIN, deren Höhen zwischen 572 und 543 Meter lagen, an der damaligen Landesgrenze zwischen Nassau-Siegen und Nassau-Dillenburg schon im Winter zuvor (1794) „beschanzt“ worden. Die Einwohner waren auch bei dieser Aktion in großem Umfang zum Arbeitseinsatzverpflichtet worden.

Das größte Heerlager befand sich auf dem eigentlichen Kopf KALTEICHE (Höhe 579 m) unter Führung von Marschall KRAY. Er befehligte seine 11 Kompanien des Freicorps ODONELL, 9 Kompanien slavonischer Infanterie , 1 Bataillon Bamberger Infanterie , 2 Eskadronen Saxe-Husaren und 10 Eskadronen Blankensteiner Husaren. Auch hier wurde den Landbewohnern durch Lebensmittel-und Futterlieferungen große Lasten auferlegt.
Einzelheiten über Umfang und A rt der Verteidigungsmaßnahmen waren lange Zeit unbekannt geblieben. Erst intensive Nachforschungen heimischer Chronisten um 1950 (insbesondere LÖBER/Haiger und DANGO/Wilnsdorf) brachten hier neue Erkenntnisse.
Die zweite Stellung sicherte die Straße (damals noch Weg) von Wilgersdorf nach Steinbach. Hier war ein großer „Verhau“ angebracht worden (gekappte Buchen deren Kronen in Richtung Wilgersdorf lagen, da man von hier den Angriff erwartete). Zahlreiche Erdwälle sind bis zur Gegenwart noch erkennbar.
Die dritte Stellung kontrollierte den heute noch LANDHEEG genannten Grenzübergang zwischen Würgendorf und der „Nassauischen Kalteiche“. Von hier zogen sich Wälle und Schanzen bis ins unwegsame Schwarzenbachtal, an der obersten Heller und steil hinab ins Michelbachtal. Hier wurden noch nach 1950 Uniformteile und -Knöpfe gefunden. Teile der vorher noch gut erkennbaren Stellungen sind beim Bau der Autobahn-Auffahrt zerstört worden.

Die Franzosen kommen

Im Juni 1796 waren die Franzosen über den Rhein gegangen. Während die Hauptmacht im Westerwald gegen WARTENSLEBEN eingesetzt wurden, kommt der linke Flügel, die Division LE FEBRE, über Siegen und soll KRAY aus der Kalteiche werfen. Er rückt am 3.Juli Frühmorgens in Siegen ein und bezieht mit seinen zwölftausend Mann ein Lager auf dem Giersberg.
Tags darauf erfolgt der Weitermarsch in Richtung Haiger. Er muß von den starken Verteidigungsmaßnahmen des FREIHERRN VON KRAY genaue Kenntnisse gehabt haben und läßt den „VERHAU“,an dem die Österreicher den Hauptangriff erwarten, nur schwach angreifen,während er mit dem größeren Teil der Truppen von Anzhausen aus rechts abbiegt und den Verhau umgehen will. Aber das gelingt ihm nicht, ebensowenig wie drei Angriffe gegen die BATTERIE und die Sperre an der Steilstraße von Wilnsdorf zur Kalteiche.
Nun schickt er mehrere seiner Bataillone von Wilnsdorf aus über Wilden, Neunkirchen, Zeppenfeld, Burbach und Würgendorf, den Österreichern in den Rücken. Insgesamt stehen den etwa 37.000 Verteidigern (Deutsche und Österreicher) etwa 60.000 angreifenden Franzosen gegenüber.
Einzelheiten über den Kampfablauf am 4.Juli 1796 auf der Kalteiche sind nicht überliefert. Die Österreicher können dem Zweifronten-Angriff der Franzosen letztlich nicht standhalten und ziehen gegen Abend nach beiderseits hohen Verlusten, im Schutz der Dunkelheit in Richtung Haiger- Dillenburg ab. LE FEBRE folgte ihnen zunächst bis Haiger.

Bevor wir dem weiteren Ablauf der Geschehnisse nachgehen, wollen wir uns den großen Folgen dieser Tragödie am 4.Juli 1796 zuwenden, des Tages, der in der Geschichte unseres Landes wohl die größten Menschenopfer innerhalb von nur etwa 8 Stunden forderte.

Die Not danach

In diesem Gefecht verloren die Österreicher 739 Mann und 79 Pferde. Die Verluste der Franzosen sind nicht bekannt, dürften sich aber in ähnlicher Höhe belaufen haben. Die meisten Gräber lagen im Gebiet um das SINNERHÖFCHEN. Hier sind noch viele Hügel als (Massen-?) Gräber zu erkennen. Die Dynamitfabrik ließ an dieser Stelle 1925 eine Quelle graben, wobei Knochen, Uniformteile und Waffen zum Vorschein kamen. Noch vor wenigen Jahren fanden Steinbacher Einwohner im Kampfgelände einen gute erhaltenen MARIA-THERESIA-TALER.

Einem Bericht von K.LÖBER/Haiger, entnehmen wir folgenden Beitrag:

„… verheerend waren die Folgen des Gefechts für die umliegenden Orte, wo die Franzosen in der Nacht vom 4. auf den 5.Juli entsetzlich plünderten. Lehrer Schraudebach von Haiger berichtet in der dortigen Schulchronik: Keins von diesen Jahren kam 1796 gleich. Die Österreicher hatten sich in und vor der Kalteiche aufgestellt, die Franzosen umgingen sie, und vor der Kalteiche setzte es mittags den 4.Juli einen scharfen Angriff. Mit Sonnenuntergang flohen die Österreicher, und wie ein Gewitter, das sich mit Sturm erzürnt von hohen Gebürgen in ein Tal stürzt, so stürzten in und um die Stadt die raubgierigen Franzosen. Plötzlich geschahen Plünderung, welche von 9 Uhr abends bis 9 Uhr morgens, zu deren Abzug währte. Die Plünderung schien befohlen gewesen zu sein; denn morgens 3 Uhr geschah ein Signalschuss zu Aufhören, woran sich aber doch nicht gekehrt wurde. Die Totalsumme des Geplünderten wurde von Texatum auf 40.000 fl. angegeben. Zum weiteren Verlauf soll hier nur noch kurz angegeben werden, daß sich die Österreicher nach Aufgabe der Kalteiche zuerst hinter den Main, dann auch noch bis an die NAB zurückziehen müssen, immer gefolgt von Franzosen…“
Erst Erzherzog KARL kann Ende August bei Würzburg die Franzosen stellen und entscheidend schlagen.

Nun flüchten diese zurück und abermals fluten die Truppen über die Kalteiche dahin. Danach bleiben die Österreicher den Sommer 1796 in unserem Land. Doch die Franzosen kehren zurück. Sie verjagen abermals die Österreicher und setzen sich vom Winter 1796/97 bis zum Sommer 1798 als Besatzer im Freiengrund fest. Es ist unbekannt, ob der nun abermals erfolgte Abzug unter Druck oder zwanglos erfolgte.
Für eine kurze Zeit scheint dann Ruhe in unser Land eingekehrt zu sein , doch die Zeit der Drangsale ist noch nicht beendet: NAPOLEON kommt noch !

Nach der „GEISTERSCHLACHT“ noch 1500 Tote in Siegen

1938 erschien in der Serie HEIMATLAND (Verlag Vorländer/Siegen) ein Beitrag über „Die Geisterschlacht an der Kalteiche“. Obwohl uns der Verfasser und auch nicht die Quellen die er vorliegen hatte, bekannt sind übernehmen wir einige dieser bemerkenswerten, fast romantischen Beiträge: „…wo die Heller, die westwärts zur Sieg strömt, und die Dill, die ostwärts zur Lahn fließt, in ihrem Quellgebiet sich berühren, lagern die dunklen weiten Buckel und Rücken des ausgedehnten Bergwaldgebiets der „Kalteiche“. Hier warfen sich die Österreicher, die Männer aus der deutschen Ostmark, noch einmal dem Feinde entgegen. Vergeblich sanken sie in ganzen Reihen im Feuer der Kartätschen dahin. Vergeblich rasten die Reiterregimenter mit verhängten Zügeln gegen die eisern stehenden Karrees der Franzosen. Vergeblich stachen die Deutschen mit Bajonett und Säbel um sich, schlugen mit Kolben und wehrten sich selbst mit würgendem Griff gegen die von fast unbesieglichen Generalen geführten Landesfeinde. Vergeblich ist alles Blut geflossen und die Toten, die zu Tausenden am Abend das Schlachtfeld bedeckten, waren glücklicher zu preisen als die Lebenden, die auf hoffnungslosem Rückzug gegen Osten begriffen waren. Die Toten waren auch glücklicher zu preisen als die Sterbenden und Schwerverletzten, die hilflos im Frühjahr 1797 in den Wäldern der Kalteiche verkamen. Die Toten waren auch glücklicher zu Preisen als jene Zehntausende Leichtverwundeter, die nicht mehr fähig waren, ihren Brüdern zu folgen und nun in die Dörfer und Städte der Umgebung geschafft wurden, um dort ein viel schrecklicheres Los zu finden als jene, die eine gnädige Kugel in Sekundenschnelle für ein sinnloses Ziel vom Leben zum Tod brachte:

von 2000 nach Siegen eingelieferten verwundeten Östereichischen Soldaten starben in kurzer Zeit 1500 Mann infolge sehr schlechter Verpflegung und wurden sang-und klanglos verscharrt, wie man Vieh verscharrt, das eine Seuche hinwegraffte. Und dann wusch der Regen die Erde von den Massengräbern.

Vergeblich all das Blut, vergeblich aller Mut, aller Opferwille bei Soldat und Offizier! Vergeblich dieses grausige Sterben auf dem Schlachtfeld und in den Lazaretten! Der Kaiser verlor fast die Krone. Es wäre nicht allzu schade gewesen. Aber Deutschland verlor das linke Rheinufer an Frankreich und seine Ehre dazu und Deutschland fand keinen NAPOLEON, der es heraußriß aus all dem entsetzlichen Unheil… und den Gefallenen, kein Denkstein wurde ihnen gesetzt… sie waren vergessen von denen die sie ehren sollten. Aber die Seele des Volkes vergaß sie nicht. Die Seele des einfachen Volkes erschauerte, wenn es an den wüsten Orten vorbeiging, von dem die Mär ging, daß dort Tausende brave Österreichischer Soldaten ein unwürdiges Grab gefunden hätten. Da und dort, in den Dörfern und Städten des Siegerlandes und des Westerwaldes erschauerte die Volksseele, wenn sie sich besann auf das, was dieser öde Ort barg: die Asche solcher, die vergeblich gestorben waren.

Und diese Volksseele ruhte nicht; sie grübelte durch Jahrzehnte diesem trostlosen Gedanken vergeblich nach. Und was die Berufenen nicht getan, -was die Berufenen vergessen: die Toten zu ehren, das tat die Seele des einfachen Volkes; sie setzte ihnen einen Denkstein in den Sagen von der Geisterschlacht an der Kalteiche ! Für die Volksseele konnte es nicht möglich sein, daß sie umsonst gestorben waren! ….“

Bald umrankten sich viele Sagen um die Kämpfe an der Kalteiche. Und dieser Berg wurde noch jahrzehntelang von den Einwohnern gemieden: in ihren Vorstellungen geisterten dort oben immer noch die Toten.

Adolf Wurmbach hat 1967 in seinen „Siegerländer Sagen“ zwei dieser Sagen verewigt:

Der Geisterkampf auf der Kalteiche

„…. unzählige Verwundete starben danach noch in den Siegener Lazaretten infolge mangelhafter Pflege, so daß der Tod reiche Ernte hielt. Kein Kreuz, kein Stein bezeichnet die Stätte dieses Grauens. Kein Chronist hat sie überliefert, Aber die Sage erzählt, daß die Toten einmal im Jahr um die Heumachzeit aus ihren Gräbern steigen um sich wie einst zum Kampf zu formieren; die Führer voran, und die Toten und Verwundeten fallen wie einst.

Mehr als einer aus den Dörfern will den Geisterkampf am hellichten Tag in den Wolken gesehen haben, und eine Frau aus Rinsdorf, welche ahnungslos des Weges gekommen, ist vor Schreck querfeldein gelaufen…“

Die zweite Sage erzählt von einem Soldaten, der sich von oben in einen hohlen Baum hatte hinunter rutschen lassen. Als dann das Donnern der Kanonen aufhörte, wollte er sich emporstemmen, aber vergebens. Alle Anstrengung blieb umsonst. Auf den heißen Tag folgte eine kalte Nacht. Er schreit vergeblich um Hilfe. Die Kirchenglocken läuten einen neuen Tag ein, doch nicht für ihn.- Viele Jahre später finden Waldarbeiter sein Gerippe in dem hohlen Baum. Niemand, so schreibt die Sage, kennt seinen Namen und sein Grab.

Quellen: Heimatverein Zeppenfeld „Geschichtsbrief Nr.20“ von 1992 mit freundlicher Genehmigung.
Karl Löber/Haiger 1962,  Heimatland 1938,  Adolf Wurmbach 1967